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Interview zum Weltautismustag am 2. April 2023

Der internationale Autismustag wurde erstmals 2008 begangen.

Autismus - ein oft unerkanntes Phänomen

Wahrscheinlich kennt jeder eine autistische Person, obwohl demjenigen in den allermeisten Fällen gar nicht bewusst ist, dass es sich um Autismus handelt. Sie werden oft als “merkwürdig“, “komisch“, “unhöflich“ oder als “andersartig“ wahrgenommen – und werden dafür oft schlecht behandelt, bis hin zu Diskriminierung und Mobbing. Das liegt daran, dass den Menschen weitreichend Verständnis und Bewusstsein für Autismus fehlen und sie ihn fehlinterpretieren.

Der von den Vereinten Nationen im Jahre 2007 eingeführte Weltautismustag, der jedes Jahr am 2. April begangen wird, soll dazu beitragen, genau dieses Bewusstsein zu schaffen, damit autistische Menschen als gleichberechtigte und die Gesellschaft bereichernde Persönlichkeiten wahrgenommen werden.

Dazu interviewte Jörg Pitzschel, selbst Autist, die Heilpädagogin Jutta Denke aus Pahlen in Dithmarschen. Sie hat sich zur „Therapeutischen Fachkraft zur Begleitung autistischer Menschen“ weitergebildet. In ihrer Praxis AUT-ark arbeitet sie im Schwerpunkt mit Erwachsenen aus dem sogenannten hochfunktionalen Autismus-Spektrum, die ihre Diagnose erst spät bekommen haben.

Frage: Kannst Du den Lesern erklären, was „Autismus“ ist?

Jutta Denke: „Autismus“ wird als eine tiefgreifende neurologische Entwicklungsstörung bezeichnet und ist vorwiegend genetisch bedingt. Sie wird also vererbt und besteht lebenslang und von Geburt an. Auch Stoffwechselstörungen werden als Ursache diskutiert.

Man schätzt, dass es ca. 800.000 Autisten und Autistinnen in Deutschland gibt, das sind 1% der Bevölkerung, ca. 20.000 in Schleswig-Holstein.

Bis vor Kurzem wurde die Diagnose „Autismus“ noch in verschiedenen Kategorien unterteilt, z.B. in den „Frühkindlichen Autismus“, den „Atypischen Autismus“ oder  das „Asperger-Syndrom“.

Seit 01.01.2022 fasst man diese unterschiedlichen Ausprägungen unter dem Begriff „Autismus-Spektrum-Störung“ (ASS) zusammen.

In der neuen, sogenannten ICD-11[1] werden die Diagnosekriterien für die »ASS« festgelegt und in verschiedene Schweregrade und Spezifizierungen eingestuft. Die kognitiven Fähigkeiten autistischer Menschen reichen von geistiger Behinderung über normale Intelligenz bis hin zur überdurchschnittlichen Intelligenz. Dabei wurden jetzt erstmals auch sensorische Besonderheiten berücksichtigt.

[1] ICD-11: Internationale statistische Klassifikation der Krankheiten und verwandter Gesundheitsprobleme, aktuelle 11. Revision, in Kraft seit 01.01.2022 mit einer Übergangszeit von mindestens 5 Jahren

Frage: Was ist das Charakteristische am Autismus?

Jutta Denke: Das Gehirn von Autisten und Autistinnen funktioniert anders als das der sogenannten „neurotypischen“, also der nicht-autistischen Menschen. Autismus als neurologische Besonderheit ist verbunden mit Schwierigkeiten in der Interaktion und der Kommunikation, dem sozialen Verständnis sowie repetitiven, also immer wiederkehrenden Verhaltensweisen. Diese Unterschiede im Gehirn sind übrigens auch in bildgebenden Verfahren zu erkennen.

Neben einer generell anderen Verarbeitung ist die Sinneswahrnehmung meist hypersensibel,  sodass es schnell zu einem sogenannten „Over-Load“ kommen kann. Das bedeutet, dass die vielen Reize aus der Umwelt wie zum Beispiel Licht, Geräusche, Gerüche oder auch eigene Körpergeräusche usw. viel stärker wahrgenommen bzw. anders „gefiltert“ werden.

Beispielsweise kann Einkaufen, Busfahren, der Schul- oder Arbeitsalltag oder ein Arztbesuch schnell zu einer totalen Überforderung werden. Viele autistische Menschen gehen dann in den Rückzug, um sich zu schützen. Sie widmen sich intensiv oft sehr speziellen Interessen, die für sie Erholung und Entspannung bedeuten. Auch ungewöhnliche Denkweisen und Problemlösungen sowie das Bedürfnis nach Routinen und Vorhersehbarkeit sind charakteristisch.

Frage: Gibt es aus Deiner Sicht einen Unterschied zwischen Männern und Frauen im Autismus-Spektrum?

Jutta Denke: Ja, meiner Erfahrung nach gibt es einen großen Unterschied. Autismus wurde lange eher Jungen zugeschrieben als Mädchen. Neuere Forschungsergebnisse zeigen aber, dass das gesellschaftliche Frauenbild dazu geführt hat, dass Anzeichen für Autismus bei Mädchen und Frauen nicht oder noch später „erkannt“ werden als bei Jungen bzw. Männern. Denn Mädchen und Frauen sind meist ruhiger, stiller und kontrollierter. Sie können ihre autistischen Verhaltensweisen eher „überspielen“, da sie ein besseres Verständnis für soziale Regeln haben. Durch intensives Beobachten kopieren sie dann die Verhaltensweisen Anderer, um nicht aufzufallen. Dieses zurückhaltende, überangepasste Verhalten entspricht eher unseren gesellschaftlichen Erwartungen an Mädchen und Frauen. Dieses „Masking“, also die Anpassung an das Verhalten der sogenannten „neurotypischen“, nicht-autistischen Menschen, ist dann auf Dauer sehr anstrengend, sodass für andere Dinge kaum noch Energie übrig ist.

Mädchen und Frauen sind meist verletzlicher, da sie durch Selbstzweifel und emotionalen Druck „funktionieren“ wollen und dadurch noch stärker belastet sind als autistische Männer. Männer können ihren Autismus im Durchschnitt gemessen mehr ausleben als Frauen, was für sie auch gesundheitlich von Vorteil ist.

Frage: Für den „neurotypischen“ Menschen ist der Autismus oftmals äußerlich nicht erkennbar. Ich habe erlebt, dass es dadurch oft zu Missverständnissen im Alltag kommt. Welche Erfahrungen hast Du diesbezüglich in Deiner praktischen Arbeit gemacht?

Jutta Denke: Ja, das ist ein großes Problem. Einem Menschen im Rollstuhl oder einem sehbeeinträchtigten Menschen sieht man an, welche Unterstützung er unter Umständen braucht.
Bei Autisten und Autistinnen ist das meistens zunächst nicht erkennbar. Neurotypische Menschen haben dann Erwartungen an autistische Menschen, die diese nicht erfüllen können. Zum Beispiel spontan auf eine (soziale) Situation reagieren, mit unangekündigten Veränderungen umgehen können, sich dauerhaft in Gruppen aufhalten oder die eigene Befindlichkeit durch Mimik und Gestik ausdrücken.

Zudem können Autisten die nonverbalen, also nicht-sprachlichen Botschaften der „Neurotypen“ schwer „entschlüsseln“. Für autistische Menschen steht vorwiegend die sachliche Botschaft im Vordergrund.
Neurotypische Menschen reagieren aber überwiegend auf Blickkontakt und die Gefühlsebene, die in der gegenseitigen Kommunikation mitschwingt.
Wenn dieses „Mitschwingen“ fehlt, wird der autistische Gesprächspartner oft als „unfreundlich“, „komisch“ oder „anders“ wahrgenommen.

Für neurotypische Menschen sind z.B. Geburtstagfeiern oder „Small-Talk“ Selbstverständlichkeiten. Denn „Neurotypen“ besitzen bei sozialen Kontakten eine Art „Autopilot“, der intuitiv und mühelos die vielen Signale des Gesprächspartners deutet, filtert und auf sie reagiert, was in der Regel wenig Anstrengung kostet.

Für Autisten sind solche gesellschaftlichen Anforderungen überaus kräftezehrend. Sie erkennen meist nicht den Sinn und Zweck solcher sozialen Interaktionen und sind gleichzeitig dem Anpassungsdruck seitens neurotypischer Menschen ausgesetzt.
Oft hören Autisten Sätze wie: „Stell Dich nicht so an!“, „Das kann doch nicht so schwer sein!“ oder “Du musst doch einfach nur…“. Autistische Menschen kapseln sich dann immer mehr ab.

Hinzu kommt, dass in der Umkehr neurotypische Menschen die Signale der autistischen Menschen oft nicht „lesen“ können. Denn die äußere Wahrnehmung stimmt selten mit der inneren Gefühlswelt von Autisten überein.
Aufgrund der dadurch entstehenden Missverständnisse kommt es leider zu Ausgrenzungen bis hin zum Mobbing.

Um gesellschaftlich anerkannt zu sein, setzen autistische Menschen in vielen Fällen ihre „Maske“ auf und täuschen gesellschaftlich erwartete soziale Signale vor, was überaus kräftezehrend ist. Nicht selten brauchen autistische Menschen Tage, um sich von sozialen Kontakten zu erholen.
Durch die oft erst spät gestellte Diagnose bei Erwachsenen mit hoher Intelligenz wird deutlich, dass – teilweise über Jahrzehnte – eine überhohe Kompensationsleistung erbracht wurde.
Diese Erkenntnis, dass „das Kind einen Namen hat“, kann eine positive Erkenntnis sein. Die Umgangsweise mit der Diagnose „Autismus-Spektrum-Störung“ bzw. die Verarbeitung ist aber individuell sehr unterschiedlich.

Frage: Ist Autismus eine Krankheit, Behinderung oder eine „Wahrnehmungsalternative“?

Jutta Denke: Das kommt auf die individuelle Sichtweise an. Auch wenn die sogenannte „Autismus-Spektrum-Störung“ im weltweit anerkannten Klassifikationssystem für medizinische Diagnosen verzeichnet wurde, gilt sie nicht als Krankheit.

Autisten und Autistinnen sehen sich selbst auch nicht als „gestört“. Allerdings bekommt man ohne eine eindeutige Diagnose keine autismusspezifische Unterstützung. Das ist nach wie vor ein großes Problem.

Der Begriff „Wahrnehmungsalternative“ wird innerhalb der autistischen Gemeinschaft vertreten, es gibt aber auch andere Stimmen.

Für mich als „Neurotypin“ ist diese „Neurodiversität“ im Zusammensein mit autistischen Menschen einfach eine wertvolle Variante des menschlichen Seins. Denn autistische Menschen haben eine besondere Sichtweise auf die Dinge, die oft außergewöhnlich, innovativ und bereichernd für unsere Gesellschaft ist. Zudem haben sie, entgegen der landläufigen Meinung, einen feinen Sinn für Humor.

Vielleicht kennen die Leser dieses Interviews auch jemanden, ohne es vielleicht zu wissen…?

Frage: Die meisten autistischen Menschen fühlen sich „wie auf einem fremden Planeten“. Wie ist das zu erklären?

Jutta Denke: Ja, das sogenannte „Wrong-Planet-Syndrom“ beschreibt aufgrund anderer neurologischer Gegebenheiten das Empfinden autistischer Menschen, irrtümlich auf einem fremden Planeten gelandet zu sein.

Man stelle sich vor, dass man auf diesem Planeten Menschen begegnet, deren Sprache man nicht versteht bzw. spricht, die unverständliche Regeln haben, die nicht nachvollziehbare Verhaltensweisen zeigen, deren Sinn sich einem nicht erschließt und wo man kaum jemanden trifft, der genauso „tickt“ wie man selbst. Das ist sehr befremdlich und führt zu Unsicherheit und Ängsten, bis hin zur Isolation.

Übrigens spielt im Leben von Autisten und Autistinnen das Elternhaus mit der benötigten Sicherheit deshalb länger eine Rolle als bei neurotypischen Menschen.

Frage: Bei autistischen Menschen gibt es eine überdurchschnittliche suizidale Rate. Wodurch ist das zu erklären?

Jutta Denke: Da gibt es leider viele Gründe, die mir tatsächlich alle autistische Menschen in den Gesprächen genannt haben:
Zum einen fehlen ihnen in ihrem sozialen Umfeld Vorbilder, an denen sie sich orientieren können, die Verständnis haben und denen sie sich anvertrauen können.
Die Mehrheit um sie herum in Kindergarten, Schule, Beruf, Freizeit usw. ist ja neurotypisch. Da ist es äußerst schwer, sich selbst zu verstehen und die eigenen Verhaltensweisen, die sich stark von denen der Mitmenschen unterscheiden, einzuordnen. Autistische Menschen erfahren in ihrem Leben viel soziale Ablehnung und Ausgrenzung.
Es wird ihnen zudem unterstellt, keine Empathie zu besitzen. Das ist nicht richtig; sie können dieses meist sehr tiefe Mitgefühl oft nur nicht „nach außen“ bringen.

Dann spielt die schon genannte sensorische Dauerbelastung der Umwelt eine Rolle. Es fehlt in unserer schnelllebigen Welt immer mehr an Vorhersehbarkeit, die für Autisten existentiell ist.
Man beginnt zu zweifeln, warum man nicht so sein kann wie andere Menschen, warum man so schnell erschöpft ist und warum man lieber allein ist. Trotzdem möchten autistische Menschen sich als dazugehörig fühlen, wünschen sich beispielsweise eine Partnerschaft und möchten sich entfalten und nicht isoliert leben.

Autistische Menschen haben nachvollziehbar ein erhöhtes Risiko, verschiedene Komorbiditäten, also die Autismus-Spektrum-Störung begleitende Diagnosen, zu entwickeln. Zum Beispiel ADHS, Depressionen, Schlafstörungen, Essstörungen, Zwangs- und Angststörungen, selbstverletzende Verhaltensweisen usw.
Wenn die ursprüngliche Diagnose „Autismus“ durch diese „Verdeckungen“ oft sehr spät erkannt wird, ist es aber schon zu vielen Verletzungen z.B. durch Mobbing bis hin zur Traumatisierung gekommen.
Wenn man das weiß, ist es nachvollziehbar, dass viele verzweifeln. Unterschiedliche Studien zeigen, dass zwischen 30% und 50% der autistischen Menschen Selbstmordgedanken haben. Laut „Autismus-Kultur“ ergab eine kürzlich durchgeführte Studie an Erwachsenen mit Asperger-Syndrom, dass zwei Drittel der Teilnehmenden lebenslange Erfahrungen mit Selbstmordgedanken hatten und ein Drittel der Teilnehmenden Selbstmord geplant oder versucht hatte.

Frage: Im Hinblick auf Unterstützungsangebote für autistische Menschen fiel in einem kürzlich gesendeten Beitrag auf Arte der Begriff „Versorgungswüste“. Denkst Du, dass das auch für Schleswig-Holstein zutrifft?

Jutta Denke: Ja, das kann ich bestätigen. Es fehlt nicht nur an Fachkräften, die die Diagnose „Autismus-Spektrum-Störung“ (früher) stellen, sondern auch an geeigneter psychosozialer bzw. therapeutischer Unterstützung, die autistischen Menschen wirklich helfen kann. In vielen Teilen von Schleswig-Holstein gibt es gar keine autismusfachspezifische Hilfestellung. Daher bekomme ich auch immer wieder Anfragen aus anderen Kreisen.

Es fehlen flächendeckende autismusspezifische Unterstützungsmöglichkeiten im Alltag, besondere Wohnformen, eine weitgehend barrierefreie medizinische Versorgung, die auf die besonderen Bedürfnisse von autistischen Menschen eingestellt ist u.v.m. Die Nachfrage ist allgemein sehr hoch.

Frage: Warum haben es autistische Menschen auf dem Arbeitsmarkt so schwer? Was kann getan werden?

Jutta Denke: Ich denke, viele Arbeitgeber wissen zu wenig über das Thema „Autismus“ und haben falsche Vorstellungen entwickelt. Durch viele Biographien und Filmbeiträge, wie z.B. „Rain Man“ oder „Atypical“, ist das Thema zwar mehr in die breite Öffentlichkeit gekommen, das birgt aber auch die Gefahr von Verallgemeinerung und Vermittlung von Klischees.
Oft spielt auch Unsicherheit im Umgang mit dem Autismus eine Rolle. Schwächen könnten bei autistischen Arbeitnehmern überbewertet bzw. zu stark in den Fokus gestellt werden.
Bei einer Klientin von mir wurde die Autismus-Spektrum-Störung kürzlich aufgrund eines massiven Burn-outs „entdeckt“. Ihr Arbeitgeber ist ihr gegenüber jetzt unsicher geworden, obwohl sie vorher als äußerst zuverlässig und fachlich exakt galt.

Dann ist der Zugang zum Arbeitsmarkt erschwert. Viele autistische Menschen arbeiten trotz Arbeitsfähigkeit nicht, da der Zugang, die Kenntnisse und die autismusspezifische Berufsförderung von Seiten der Arbeitsvermittlung fehlen.
Oft wird „niedere“ Arbeit am falschen Arbeitsplatz angeboten.
„Hochfunktionale“ Autisten können dann die eigene Intelligenz und ihr Können nicht adäquat einsetzen. Dadurch entsteht eine fachliche Unterforderung, aber eine soziale Überforderung. Stärken werden oft verkannt, das sind dann leider vertane Chancen. Daher müssten mehr Anreize für Arbeitgeber gesetzt und vor allem mehr Aufklärung in Bezug auf Inklusion betrieben werden .

Ich denke, einen Autisten oder eine Autistin als Mitarbeiter in einem Team zu haben, kann aufgrund der vielen individuellen Stärken wie Zuverlässigkeit, Sorgfalt und Exaktheit, Blick für Details, Ehrlichkeit, Loyalität, Hilfsbereitschaft, ein hoher Anspruch an die eigene Arbeit usw. eine große Bereicherung sein.
Beide Seiten sollten unverkrampft aufeinander zugehen und vor allem viel miteinander über ihre Kommunikation reden, um rechtzeitig Missverständnissen vorzubeugen.
Neben einem festen Ansprechpartner ist eine autismusgerechte, reizarme Gestaltung des Arbeitsplatzes wichtig.
Zum Beispiel, wäre es hilfreich, wenn in der Kommunikation mit den autistischen Arbeitnehmern individuelle Lösungen gefunden werden.
Zum Beispiel, dass es im Büro erlaubt ist, bei geschlossener Tür zu arbeiten, Kopfhörer aufzusetzen, um Geräusche auszublenden, die Lichtverhältnisse abzustimmen, mehr im Home-Office zu arbeiten, Vorhersehbarkeit zu schaffen durch genaue und klare Arbeitsanweisung usw., um nur einige Beispiele zu nennen.
Das kommt übrigens auch vielen neurotypischen Arbeitnehmern entgegen.
Wenn das Umfeld und das Arbeitsklima stimmt, haben beide Seiten etwas davon.
Immer nach dem Motto von Jérôme Mallow: „Kennst Du einen Autisten, kennst Du einen Autisten“.

Aus eigener Erfahrung kann ich sagen, dass es ein sehr gutes Gefühl und eine große Entlastung ist, wenn man sich auf seinen Mitarbeiter 100-prozentig verlassen kann.
Leider werden diese autistischen Potentiale in der Gesellschaft trotz Arbeitskräftemangel auf dem Arbeitsmarkt viel zu wenig erkannt und – marktwirtschaftlich gesehen – zu selten genutzt.

Frage: Du begleitest nun schon lange Menschen im Autismus-Spektrum. Was fasziniert Dich an der Zusammenarbeit mit autistischen Menschen?

Jutta Denke: Nach meiner Erfahrung sind autistische Menschen sehr authentisch und ehrlich. In unserer Zeit ist das wirklich etwas Besonderes. Die Zusammenarbeit mit Autisten ist oft hochanalytisch und gleicht manchmal einer gemeinsamen Detektivarbeit. Jede (Gesprächs-)Situation ist einzigartig und für mich immer wieder interessant und spannend!

Zudem besitzen Autisten ein – meist unerkanntes – breites Spektrum innovativer Kompetenzen, Denkstrukturen und interessanten Weltanschauungen, das man entdecken kann. Ihre Sicht auf die Welt ist eine Besondere – nach meinem Verständnis einzigartig.

Diese neurologische Vielfalt ist für mich eine große Bereicherung, auch für meine persönliche Entwicklung; ich lerne jeden Tag etwas Neues dazu.

 

Aufklärung ist wichtig, um die Menschen zu sensibilisieren und Autisten als „Experten in eigener Sache“ zu stärken. Trotz der unterschiedlichen Sichtweisen sollte es uns gelingen, auf Augenhöhe zu arbeiten.

Das kann dann ein Brückenschlag zu einem wirklich gelebten, barrierefreien Miteinander zwischen autistischen und neurotypischen Menschen in unserer Gesellschaft sein. 

Denn eine Gemeinsamkeit haben wir auf jeden Fall: wir sind alle Menschen.

Interview: Jörg Pitzschel

Weiterführende Links:

www.autismus-kultur.de

www.autismus.de

www.autismus-verstehen.de/magazin/

www.aspigurl.com

Buchempfehlungen:

Attwood, Tony: Ein ganzes Leben mit dem Asperger-Syndrom, Trias
Dr. Preißmann, Christine: Überraschend anders sowie
Mädchen und Frauen mit Asperger, Leben in zwei Welten, beide Trias
Schreiter, Daniela: Schattenspringer 1 – 3, Panini Verlags GmbH

Filme:
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