Jutta Denke: Ich denke, viele Arbeitgeber wissen zu wenig über das Thema „Autismus“ und haben falsche Vorstellungen entwickelt. Durch viele Biographien und Filmbeiträge, wie z.B. „Rain Man“ oder „Atypical“, ist das Thema zwar mehr in die breite Öffentlichkeit gekommen, das birgt aber auch die Gefahr von Verallgemeinerung und Vermittlung von Klischees.
Oft spielt auch Unsicherheit im Umgang mit dem Autismus eine Rolle. Schwächen könnten bei autistischen Arbeitnehmern überbewertet bzw. zu stark in den Fokus gestellt werden.
Bei einer Klientin von mir wurde die Autismus-Spektrum-Störung kürzlich aufgrund eines massiven Burn-outs „entdeckt“. Ihr Arbeitgeber ist ihr gegenüber jetzt unsicher geworden, obwohl sie vorher als äußerst zuverlässig und fachlich exakt galt.
Dann ist der Zugang zum Arbeitsmarkt erschwert. Viele autistische Menschen arbeiten trotz Arbeitsfähigkeit nicht, da der Zugang, die Kenntnisse und die autismusspezifische Berufsförderung von Seiten der Arbeitsvermittlung fehlen.
Oft wird „niedere“ Arbeit am falschen Arbeitsplatz angeboten.
„Hochfunktionale“ Autisten können dann die eigene Intelligenz und ihr Können nicht adäquat einsetzen. Dadurch entsteht eine fachliche Unterforderung, aber eine soziale Überforderung. Stärken werden oft verkannt, das sind dann leider vertane Chancen. Daher müssten mehr Anreize für Arbeitgeber gesetzt und vor allem mehr Aufklärung in Bezug auf Inklusion betrieben werden .
Ich denke, einen Autisten oder eine Autistin als Mitarbeiter in einem Team zu haben, kann aufgrund der vielen individuellen Stärken wie Zuverlässigkeit, Sorgfalt und Exaktheit, Blick für Details, Ehrlichkeit, Loyalität, Hilfsbereitschaft, ein hoher Anspruch an die eigene Arbeit usw. eine große Bereicherung sein.
Beide Seiten sollten unverkrampft aufeinander zugehen und vor allem viel miteinander über ihre Kommunikation reden, um rechtzeitig Missverständnissen vorzubeugen.
Neben einem festen Ansprechpartner ist eine autismusgerechte, reizarme Gestaltung des Arbeitsplatzes wichtig.
Zum Beispiel, wäre es hilfreich, wenn in der Kommunikation mit den autistischen Arbeitnehmern individuelle Lösungen gefunden werden.
Zum Beispiel, dass es im Büro erlaubt ist, bei geschlossener Tür zu arbeiten, Kopfhörer aufzusetzen, um Geräusche auszublenden, die Lichtverhältnisse abzustimmen, mehr im Home-Office zu arbeiten, Vorhersehbarkeit zu schaffen durch genaue und klare Arbeitsanweisung usw., um nur einige Beispiele zu nennen.
Das kommt übrigens auch vielen neurotypischen Arbeitnehmern entgegen.
Wenn das Umfeld und das Arbeitsklima stimmt, haben beide Seiten etwas davon.
Immer nach dem Motto von Jérôme Mallow: „Kennst Du einen Autisten, kennst Du einen Autisten“.
Aus eigener Erfahrung kann ich sagen, dass es ein sehr gutes Gefühl und eine große Entlastung ist, wenn man sich auf seinen Mitarbeiter 100-prozentig verlassen kann.
Leider werden diese autistischen Potentiale in der Gesellschaft trotz Arbeitskräftemangel auf dem Arbeitsmarkt viel zu wenig erkannt und – marktwirtschaftlich gesehen – zu selten genutzt.